9 Stunden, 19 Kurzvorträge, 45 Radkilometer 

Eine Klausur der anderen Art

Wir schreiben Donnerstag, den 29. September 2022. Alle Leistungskurse der B-Schiene schreiben Klausur. Alle? Nein! Ein nicht gar kleiner LK von unbeugsamen Historiker*innen leistet sich an Stelle der Klausur etwas Anderes: eine Exkursion als Teil einer Klausurersatzleistung. 

Schon vor den Sommerferien waren Orte in Berlin zugelost worden. Zu diesen galt es, in den ersten Wochen des Schuljahres eine passende Quelle zu finden, sie zu interpretieren und als Teil eines Exkursionsführers ein Handout einzureichen. Teil vier war nun, auf dieser Grundlage den Mitschüler*innen an historischem Ort Kenntnisse und Erkenntnisse zu vermitteln. Bezugspunkt war dabei die an das Abiturschwerpunktthema angelehnte Überschrift: „Machteroberung – MACHTübernahme – MACHTSTABILISIERUNG. Rechte Strategien 1919 bis 1939 – generalstabsmäßig geplant oder zeitläuftegenerierte Puzzlearbeit?“

Startpunkt war die Schule und gar nicht fern, in der Königsallee, war der erste Stopp: am Gedenkstein für Walter Rathenau, Reichsaußenminister der jungen Weimarer Republik. Er war hier 1922 von rechtsgerichteten Terroristen ermordet worden. Weiter ging es über das Olympiastadion im tiefsten Westend – spannende Frage war dort, inwiefern auch 2022 große Sportereignisse noch propagandistisch, aber auch von realer Machtpolitik ablenkend genutzt werden – über den „Langen Lulatsch“ (für Uneingeweihte: der Berliner Funkturm), nicht mehr sichtbare Orte wie den Sportpalast oder die Kroll-Oper bis hin zum Schwerbelastungskörper und als Endpunkt zum SA-Gefängnis Papestraße am Südkreuz, um nur einige der insgesamt 19 Haltepunkte zu nennen. 19 Haltepunkte hießen natürlich auch 19 kurze Präsentationen, und da die Wegstrecken dazwischen berlintypisch oft eher nicht kurz sind, waren schließlich neun Stunden vergangen, als man nach satten 45 Kilometern das letzte Ziel erreichte – personell leicht reduziert, da unterwegs zwei platte Hinterreifen das vorzeitige Ausscheiden zweier Klio-Jünger bedeutet hatten. 

Die Auswertung am Tag danach brachte zu Tage: Gestört hat nicht, dass es nur einmal eine Pause von einer knappen halben Stunde gab. Gestört hat auch nicht, dass zweimal zwischendurch nicht mehr alle Tuchfühlung zum Hauptfeld der Gruppe hatten. Gestört hat eigentlich gar nichts, bis auf den Berliner Straßenlärm, das Zuhören erschwerend, und die Größe des Kurses, Strecke wie Dauer längend. Petitessen! Denn insgesamt gab es kursweit ein Daumenhoch im Quadrat für die Aktion. Als richtig gut wurde beurteilt, sich selbständig und für andere ein Thema erarbeitet sowie historische Orte mit Leben gefüllt und sie erlebt zu haben. Und natürlich, an Stelle einer Klausur etwas Anderes – nicht minder Anspruchsvolles und mindestens Gleichwertiges – geleistet zu haben.

G.S.

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