Die Tetradrachme
Über ein sehr besonderes Anschauungsstück für die Fachbereiche Griechisch und Geschichte am Grauen Kloster
von Georg v. La Chevallerie (Verein der Freunde des Evangelischen Gymnasiums zum Grauen Kloster e.V.)
Die Tetradrachme ist als wohl bekannteste Münze des antiken Griechenlands in vielen Schulbüchern abgebildet, wir haben sicher alle schon Bilder einer solchen Münze gesehen. Im vorvergangenen Jahr erhielt der Verein der Freunde des Evangelischen Gymnasiums zum Grauen Kloster e.V. eine originale, athenische Tetradrachme aus der Zeit des Perikles als Spende zugewandt. Die Spende sei ein Ausdruck der Wertschätzung für das, was die Schule in dem zum Ende hin ja sehr schwierigen Schuljahr 2019/20 geleistet habe. Verbunden mit der Zuwendung ist die Auflage, diese an die Schule auszuleihen für Unterrichtszwecke, zur Förderung und Veranschaulichung des Griechisch- und des Geschichtsunterrichts. Wir stellen hier unser Vierdrachmenstück vor und danken, wunschgemäß ohne den Dank namentlich zu adressieren, noch einmal herzlich im Namen des Vereins, der Fachbereiche und der Schülerinnen und Schüler für diese schöne Idee und großzügige Gabe!
Die ersten Silbermünzen wurden im Laufe des 6. Jahrhunderts v. Chr. im östlichen Mittelmeerraum geprägt. Es handelt sich – wie bei allen antiken Münzen bis in die römische Kaiserzeit – um sogenannte „Kurantmünzen“. Eine Kurantmünze (frz. courant „laufend“) ist eine Münze, deren Nominalwert durch das Metall, aus dem sie besteht, im Wesentlichen gedeckt ist. Die Tetradrachme, um 530 v. Chr. in Athen eingeführt, war zugleich Münz- und genormte Gewichtseinheit. Athen identifizierte sich mit seiner Schutzgöttin Athene. So ist wenig überraschend, dass ihr Abbild und die ihr zugeordnete Eule bald auf die attischen Münzen kamen, die Münzen des „Eulen“-Typs („Glaukes“). Athen war eine der wenigen griechischen Poleis, die auf eigene Silbervorkommen zurückgreifen konnte, die Minen von Laurion in Attika, südöstlich von Athen gelegen.
Die Perser unter Xerxes hatten mit einem großen Heer und ihrer Flotte im frühen 5. Jh. v. Chr. weite Teile Griechenlands unterworfen, auch Athen erobert und die Akropolis zerstört. Athen unter Themistokles (* um 524 v. Chr.; † um 459 v. Chr.) war dank Entdeckung und Erschließung neuer Silberadern in den Minen Laurions jedoch in der Lage, binnen kurzer Zeit die Aufstellung einer großen Flotte samt Besatzungen gegen die Perser zu finanzieren. Allein die Entlohnung der Besatzung eines Schiffs kostete pro Tag 200 Drachmen, also 50 Tetradrachmen; der Tageslohn eines Matrosen oder auch eines Handwerkers betrug etwa eine Drachme. Die zum überwiegenden Teil aus Schiffen Athens bestehende griechische Flotte gewann 480 v. Chr. die Seeschlacht von Salamis. Die Perser zogen sich in Folge nach Asien zurück. Nach diesem Sieg wurden dem Helm der Athene drei Olivenblätter als Siegeszeichen hinzugefügt.
Athen nahm nun die führende Rolle in Griechenland ein, wohl auch dank des Silbers aus den Minen von Laurion. Über 200 Schächte wurden in diesem Gebiet gezählt, bis zu 20.000 Sklaven sollen hier zur Blütezeit Athens gearbeitet haben. Im Laufe der Zeit wurde eine gewaltige Menge der mit Athene-Kopf und Eule gezierten Münzen in Umlauf gebracht. Die „Glaukes“ wurden zum beherrschenden Zahlungsmittel im ganzen östlichen Mittelmeerraum und flossen auf Handelswegen dann auch zum Teil wieder dorthin zurück. Daher kommt vermutlich auch der Spruch „Eulen nach Athen tragen“ aus Aristophanes‘ Komödie „Die Vögel“, um ca. 400 v. Chr. Die Tetradrachmen waren für den Handel von großer Bedeutung und fanden weit über den Mittelmeerraum hinaus Verbreitung, sie kommen noch in Schatzfunden im Jemen oder in Afghanistan vor. Für alltägliche Zahlungen waren sie auf Grund ihres Wertes von vier Tageslöhnen eher ungeeignet und daher nur Teil eines abgestuften Nominaliensystems. Mit der Niederlage Athens gegen Sparta im Peloponnesischen Krieg endete 404 v. Chr. auch die Herstellung der Tetradrachme.
Unsere Tetradrachme besteht, wie alle, aus Silber und wiegt gut 17 g. Sie misst etwa 25 mm im Durchmesser und um 4 mm in der Dicke. Auf Grund der Prägetechnik ist die Tetradrachme auf der Vorderseite konvex und sehr plastisch ausgearbeitet und auf der Rückseite eher flach. Sie zeigt auf der Vorderseite Athene mit attischem Helm, auf der Rückseite einen Steinkauz, einen Olivenzweig und eine Mondsichel sowie die Buchstaben „AT(h)E“. Die Herstellung unserer Münze lässt sich daher grob auf den Zeitraum zwischen 480 und 404 v. Chr. datieren.
Diese Zeitspanne überschneidet sich mit der Wirkungszeit des Perikles (* um 490 v. Chr.; † 429 v. Chr.), unter dessen Ägide ab ca. 450 v. Chr. auf der Akropolis prächtige Bauten errichtet wurden, u.a. der Parthenon. Im Jahre 454 v. Chr. ließ Athen die bis dahin im Apollo-Tempel auf Delos verwahrte wohlgefüllte Kasse des attischen Seebunds auf die Akropolis verschleppen, wohl auch um die immensen Kosten des Bauprogramms und des weiteren Ausbaus der Flotte zu stemmen. Aus dem Silber der Bundeskasse wurden immer weitere „Glaukes“ geschlagen, die dann ab 431 v. Chr. zusätzlich auch für die Kriegsführung gegen den Peloponnesischen Bund und seine Führungsmacht Sparta ausgegeben werden mussten.
Aufgrund der Stilistik der Münze sei eher ein späterer Prägezeitraum anzunehmen, meint der Kenner. Wahrscheinlich stammt sie also aus der Zeit des Perikles – und das Silber unserer Tetradrachme womöglich aus dem Schatz der Bundeskasse.
Der heutige Wert einer gut erhaltenen Tetradrachme liegt über ihrem Materialwert und über dem Vierfachen des Tageslohns eines Matrosen oder Handwerkers. „Glaukes“ kann man heutzutage aber auch günstiger bekommen, nämlich für 1,00 €. Denn Griechenland wählte bei Einführung der Euro-Währung 2002 als Bild für seine Prägung der Rückseite der 1-Euro-Münze die Rückseite einer athenischen Vierdrachmenmünze aus dem 5. Jh. v. Chr., also die Darstellung des Steinkauzes und eines Olivenzweigs.