Holocaust-Gedenktag

Warum wehen am 27. Januar die Flaggen vor dem Berliner Abgeordnetenhaus auf halbmast? Das mag sich manchEr Vorbeiflanierende, -fahrende, -hetzende, fragen. Schüler*innen des Grauen Klosters dürfte die Antwort eher leicht fallen: Nehmen Sie doch alle alljährlich am oder um den 27. Januar herum an vom Fachbereich Geschichte initiierten und organisierten Exkursionen teil; allen Unternehmungen gemeinsam: das Erinnern im Rahmen des internationalen Holocaust-Gedenktages an die Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Europas – Grund eben auch für die auf halbmast gesetzten Fahnen. Zum Beispiel besuchen Sextaner*innen die Blindenwerkstatt Otto Weidt, Achtklässler*innen lernen das Mahnmal „Gleis 17‟ am Bahnhof Grunewald kennen und im Jahrgang 11 kann aus verschiedenen Projekten gewählt werden: Dieses Jahr waren das ein Besuch der Gedenkveranstaltung im Bundestag, eine Führung in der Topographie des Terrors, ein Workshop im Doku-Zentrum Flucht-Vertreibung-Versöhnung oder thematische Vertiefungen in…., eine Fahrt nach Oberschöneweide zum Doku-Zentrum Zwangsarbeit oder zum Haus der Wannseekonferenz. Drei ausgewählte Kurzessays von Elftklässler*innen vermitteln einen guten Eindruck von diesem Tag.

„Die Wannseekonferenz“ ist der Titel eines Films – und einer Ausstellung in einer Villa am Großen Wannsee. Beide thematisieren den Beginn des grauenvollsten Verbrechens in der Menschheitsgeschichte. Nachdem ich den Film gesehen hatte, hielt ich den Besuch der Gedenkstätte für überflüssig: Wie, dachte ich mir, sollen ein Haus und eine Ausstellung die Vorbereitung des Massenmords eindringlicher vermitteln können als ein Spielfilm? Ich hatte mich geirrt.

Am 27. Januar 2022 besuchten wir die Gedenkstätte des Hauses der Wannseekonferenz. Dort haben am 20. Januar 1944 fünfzehn leitende Beamte aus verschiedenen Ministerien und führende SS-Kommandeure die Deportation aller Juden Europas in den Osten beschlossen und die logistische Grundlage für die Massenvernichtung von Juden, Sinti und Roma und anderen Minderheiten in Lagern wie Auschwitz-Birkenau gelegt. Der einzige Beweis für diese Pläne und die Durchführung der Konferenz ist ein von Adolf Eichmann angefertigtes Protokoll, das auf 15 Seiten in verharmlosendem Beamtendeutsch die Ergebnisse dokumentiert. Besonders hervorstechend ist die Seite 6, auf der die Anzahl aller Juden in Europa aufgelistet wird: Die Verfasser kommen auf über 11 Millionen Menschen.

Von außen gleicht das Haus der Wannseekonferenz den Häusern in der Nachbarschaft. Gebaut für gut betuchte Menschen, die sich vor den Toren Berlins einen Wohnsitz leisten können. Geradezu harmlos und unbeteiligt steht das Haus am Ende einer langen gepflasterten Einfahrt, die durch einen weitläufigen Garten führt. Im heftigen Kontrast dazu das Innere. Fotos von Leichenbergen, Porträts der Verbrecher – Grauen pur. Diese Gegenüberstellung wird im Film nicht so deutlich wie in der Realität. An einem Ort zu stehen, an dem die Logistik des größten Verbrechens der Menschheit beschlossen wurde, ist unheimlich.

Nicht nur die Ausstellung, vor allem die Konfrontation mit dem Ort haben bei mir Eindruck hinterlassen. Der Film scheint zwar durchaus viel zu vermitteln, allerdings ist ein Besuch nach Ansehen des Films empfehlenswert und nötiger, als man glaubt, da der Ort, die Geschichte des Ortes und die Ausstellung viel mehr Eindrücke hinterlassen als Bilder.

J. H., Jg. 11

Herzergreifend, aber auch enttäuschend zugleich. Geht das überhaupt? Wenn der Name „Gedenktag im Bundestag“ einen etwas völlig anderes erwarten lässt, als letztendlich geboten wird, es aber trotzdem ein berührender Gedenktag war, so sind diese eigentlich widersprüchlichen Gefühle zu diesem Projekttag schon möglich. 

Eigentlich hätte man erwartet, es ginge bei diesem Projekt in den Reichstag auf die Zuschauertribünen, allerdings gab es hier eine große Enttäuschung: Es ging in ein Gebäude neben dem Reichstag in einen Seminarraum mit Bildschirmen, über die die Veranstaltung live übertragen wurde. Der Gedenktag selbst war hingegen mehr als gelungen. Es waren besondere Gäste, wie etwa die Holocaust-Überlebende Inge Auerbacher, die extra aus New York angereist war, und der Präsident der Knesset des Staates Israel, vor Ort. Frau Auerbacher hat ihre Lebensgeschichte im Holocaust erzählt, wodurch die Geschichte noch einmal viel intensiver, eindrucksvoller und lebendiger wirkte. Einer der bewegenden Momente während ihrer Erzählung war der Ausruf „Ruth, ich bin hier in Berlin, um dich zu besuchen“, den sie in Richtung Himmel zu ihrer einst besten Freundin sagte, die doch im KZ ermordet worden war. Eindrucksvoll war zudem die Rede des Präsidenten der Knesset des Staates Israel, während der er sogar in Tränen ausbrach. Auch durch diese Szene wurde noch einmal die Grausamkeit des Holocaust lebendig und für die Zuhörer, auch die vor den Bildschirmen, spürbar.

Nach der Veranstaltung kam CDU-Politiker Thomas Heilmann (MdB). Im Plenum wurde gemeinsam die Veranstaltung des Holocaust reflektiert, aber auch über ganz andere Themen wie die Impfpflicht oder den Erhalt der Demokratie in Deutschland gesprochen.

Außerdem war im Paul-Löbe-Haus die Ausstellung „Unfreiwilliges Erinnern. Zur Bedeutung der Wannsee-Konferenz in Geschichte und Gegenwart“, die zuletzt auf dem Programm stand. Durch eindrückliche Videos und Interviews von Historikern sowie Bilder wurde verdeutlicht, wie die hochrangigen Vertreter des NS-Regimes im Gästehaus der SS am Großen Wannsee, die „Endlösung der europäischen Judenfrage“ diskutiert und geplant haben. 

Alles in allem war es ein spannender und wichtiger Projekttag, für künftige Jahrgänge unbedingt zu empfehlen. Ein Holocaustgedenktag, der sehr bewegt hat und besonders durch die Geschichte von Inge Auerbacher die dunkelste Zeit des Schreckens und Hasses in unserem Land vor Augen geführt hat. Auch für Menschen, die sich sonst nicht so gerne mit Geschichte beschäftigen, ist dieses Projekt geeignet und lebendig.

L. E./P. U., Jg. 11

„Deutschland nach 1945: Ermittlungen gegen 172.000 verdächtige NS-Täter, weniger als 7.000 Verurteilungen“. Mit Blick auf all die grausamen Verbrechen der NS-Zeit ist diese Schlagzeile schwer zu glauben. Millionen Menschen wurden verfolgt, gequält und ermordet. Eine solch geringe Zahl an Verurteilungen ist empörend!

Mit diesen und anderen schlimmen Tatsachen wurde ich am 27. Januar 2022, dem Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus, in der Gedenkstätte Topographie des Terrors konfrontiert. Die Gedenkstätte liegt am Ort der damaligen Terrorzentrale des NS-Regimes. Mitten in Berlin zwischen den Ministeriumsgebäuden wurden zu NS-Zeiten Einschüchterung betrieben und Angst als Mittel der Terrorpolitik verbreitet. Diese Gefühle spiegeln sich auch in den Gesichtern der Opfer wider, die in der Ausstellung auf vielen Schwarz-Weiß-Bildern zu sehen sind. Die gezeigten Fotos haben in mir jedoch nicht nur Mitgefühl mit den Opfern hervorgerufen, sondern auch Fassungslosigkeit und Wut, denn auf den Bildern werden neben den Geschädigten oft auch fröhliche Zuschauer oder lachende Täter gezeigt. 

Als Beispiel eines Täters möchte ich den angeklagten NS-Verbrecher und Chemiker Dr. Albert Widmann nennen. Er wird im Rahmen des systematischen Auslöschens bestimmter Menschengruppen, der Euthanasie, vorgestellt. Widmann hat seine hohe Bildung dazu eingesetzt, neue Methoden des Massenmords zu entwickeln. Aufgrund seiner biologischen, chemischen und physikalischen Expertise wurden die Vergasung mit Kohlenstoffmonoxid, neue Sprengstoffe und vergiftete Munitionen eingesetzt, um Menschen in großer Zahl töten zu können. Er hat die Ermordung an Hunderttausenden ermöglicht und doch wurde er nach 1945 nur mit wenigen Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. 

Das Ausmaß der NS-Gewaltverbrechen wird in der Ausstellung Topographie des Terrors eindrucksvoll gezeigt und weckt viele Emotionen. Die geringe Zahl an Verurteilungen der dafür Verantwortlichen hat mich dabei sehr nachdenklich gestimmt. Das war nicht genug! Als mahnendes Beispiel, aber auch in Gedenken an die Opfer wäre eine konsequente Prozessverfolgung mit höherer Verurteilungsquote meiner Ansicht nach von großer Bedeutung gewesen. Verbrechen dieser Art sollten sich niemals wiederholen. 

C. O., Jg. 11

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